Blue Valentine (2010) | Film, Trailer, Kritik (2024)

Über Dean (Ryan Gosling) und Cindy (Michelle Williams) gibt es zwei Geschichten. Die eine spielt im Hier und Jetzt. Dean und Cindy sind verheiratet. Sie arbeitet als Krankenschwester, er verdingt sich als Maler. Dean raucht viel, öffnet gerne schon um acht Uhr das erste Bier. Doch er ist ein großartiger Vater für die kleine Frankie (Faith Wladyka), die ihn über alles liebt. Allerdings ist die Ehe nicht harmonisch. Dean und Cindy streiten viel. Daher geben sie Frankie beim Großvater ab, um sich dann in einem billigen Stundenhotel ein Zimmer zu mieten. Ein verzweifelter, einseitiger Versuch die längst kaputte Beziehung noch zu retten.

Die andere Geschichte spielt ein paar Jahre zuvor. Cindy ist noch am College und bereitet sich auf ein Medizinstudium vor. Sie pflegt ihre Großmutter und liebt einen Schulringer. Dann trifft sie Dean, der als Umzugshelfer arbeitet und schon nach der ersten Begegnung weiß: „Dies ist die große Liebe meines Lebens.“

US-Regisseur Derek Cianfrance hat mit Blue Valentine seinen lange erwarteten zweiten Spielfilm gedreht. 1998 erklärte ihn die Kritik mit seinem Erstling Brother Tied zu einer der hoffnungsvollsten Stimmen des unabhängigen amerikanischen Kinos. Doch Cianfrance kehrte dem Kino den Rücken und arbeitete lange Zeit fürs Fernsehen, für das er mehrere Serien entwickelte und Dokumentarfilme drehte. Blue Valentine bedeutet für ihn die Rückkehr auf die große Leinwand und gemessen an den überaus positiven Kritiken, die der Film bei großen Festivals wie Cannes und Toronto, geerntet hat und den Oscarnominierungen für die beiden Hauptdarsteller, sollte man diese Rückkehr als Erfolg werten.

Es ist der Erfolg eines kammerspielhaften, introvertierten Films, der für zwei der wohl besten jungen Charakterdarsteller der USA eine hervorragende Bühne bietet. Ryan Gosling spielt den jungen Dean energiegeladen und offenherzig. Porträtiert mit lässigem Schritt und flapsiger Körperhaltung einen jungen Mann, der sich durch das Leben schlagen muss und meint, mit seiner Ukulele, wenn schon nicht die Welt, dann doch wenigstens das Herz seiner Liebsten zu erobern. Besonders schön zeigt sich die Einstellung der Figur, wenn er als Umzugshelfer einen alten Mann ins Altersheim transportiert und dann völlig freiwillig das Zimmer einrichtet.Der spätere Dean ist wie ausgewechselt. Ausgedünntes Haar mit Glatzenansatz, hässliche Zuhälterbrille und alte abgetragene Longsleave-Shirts – die Lebenslust ist ihm irgendwo entlang seines Weges abhanden gekommen. Es ist gerade diese Wandlung, die Gosling sehr genau und daher auch überzeugend darstellen kann.

Ähnlich ist es bei Michelle Williams, die hier – weniger ätherisch als in den Filmen Kelly Reichardts – als introvertierter College-Engel mit großen Kopfhörern durch die Stadt schwebt. Ihre Cindy wirkt gerade in jungen Jahren unzugänglich, abgeschottet und still. Hin und her gerissen zwischen ihrem Ringer-Freund und Dean, muss es erst zu einem Zwischenfall kommen, bis sie sich für einen der beiden entscheidet. Die ältere Cindy ist da schon ganz anders. Aufopfernd und mit einer bitteren Enttäuschung in den Augen steht sie vor den Trümmern ihrer Ehe, die es eigentlich nie hätte geben sollen. Sie geht Dean aus dem Weg, will mit ihm nicht in einem Raum sein, fühlt sich von ihm regelrecht angewidert. Williams spielt dies sehr natürlich als traurige Mischung aus verletzter Geliebter und verzweifelter Mutter.

Die Chemie zwischen den beiden ist der eigentliche Rhythmusgeber dieser Geschichte. Gosling und Williams haben ihre Rollen über mehrere Jahre getrennt voneinander entwickelt, ohne zu wissen, wer beim Dreh denn der Schauspielpartner sein wird. Das führt dazu, dass die beiden Figuren eine angenehme Glaubwürdigkeit erhalten. Nur so kann man dem schmerzhaften Auseinanderbrechen dieser Beziehung überhaupt emotional beiwohnen. Dean und Cindy tänzeln, umkreisen, winden sich, finden zu einander und stoßen sich wieder ab, um dann als verbittertes Ehepaar immer heftiger in selbstzerstörerische Ehekämpfe zu verfallen, die immer wieder die entscheidende Frage aufwerfen: Wie konnte es so weit kommen? Hier zeigt sich der Vorteil von Cianfrances Konstruktion. Er zeigt uns nur den Beginn der Beziehung (in Rückblenden), die großen Gefühle und ersten Glücksmomente. Und dann das Ende, die Kälte, die Wut und Verzweiflung. Kein Dazwischen. Dadurch wird man als Zuschauer verführt zu spekulieren, die Geschichte selbst zu vervollständigen. Das hilft auch über einige inszenatorische Mängel hinweg, die Blue Valentine durchaus besitzt. So wirken einige Episoden und Nebencharaktere, insbesondere aus Cindys Elternhaus, wie am Reißbrett entwickelt.

Und dennoch: Der Reiz des Films ist der gleiche, den man schon bei Francois Ozons 5x2 hatte. Ozon erzählte das Scheitern einer Beziehung rückwärts in fünf Episoden, angefangen mit der Scheidung. Derek Cianfrance versucht einen Schritt weiter zu gehen und nur anhand vom Aufblühen und Verdorren der Liebe etwas Allgemeines heraus zu destillieren. Und man versteht. Vielleicht, weil der Anfang und das Ende der Beziehung immer zu den intensivsten emotionalen Erfahrungen eines Menschen gehören. Vielleicht weil Williams und Gosling Figuren kreieren, in deren Regungen und Handlungen man sich selbst tatsächlich wieder finden kann. Oder es ist die simple Feststellung, dass Billy Wilders Urformel für einen gelungenen Kinofilm – „Boy meets Girl“ – immer noch nichts von ihrer Kraft verloren hat.

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Author: Fredrick Kertzmann

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